Juni 2023 | Zwölf Monate, zwölf Menschen | Porträt über Prof. Dr. Kai Schmitz
Juni 2023 | Zwölf Monate, zwölf Menschen | Porträt über Prof. Dr. Kai Schmitz

Auf der Suche nach den Grenzen des Wissens

Als Kind verbrachte Prof. Dr. Kai Schmitz viele Stunden in einer Sternwarte – das Universum faszinierte ihn. Am 29. Juni erlebte der Teilchenphysiker mit der Bekanntgabe der Entdeckung von langsam schwingenden Gravitationswellen einen bewegenden Moment in seiner Karriere.
Auf dem Aasee macht Kai Schmitz die Welle, die sich auf ähnliche Art und Weise ausbreitet wie die Gravitationswellen in unserem Universum.
© Uni MS - Nike Gais

Nach der Schule gab es für den heranwachsenden Kai oft kein Halten mehr: Nach dem Essen und den leidigen Hausaufgaben kannte der 14-jährige Berliner meist nur ein Ziel – die Wilhelm-Foerster-Sternwarte im Bezirk Steglitz. Seine Großeltern hatten einige Jahre zuvor mit einem Buchgeschenk aus der Reihe „Was ist was“ eine unbändige Begeisterung für Planeten, Sterne und das Universum in ihm ausgelöst. Stundenlang und meist bis weit in die Nacht hinein beobachtete Kai zunehmende Monde, helle Fixsterne, die Venus und die Sonne. Doch eines Abends brach die Katastrophe über ihn herein. Er war deutlich später als von seinen Eltern verlangt nach Hause gekommen – mit der für den Jungen dramatischen Konsequenz, dass er fortan bereits gegen 22.30 Uhr zu Hause sein musste. Aber der pfiffig-verzweifelte Kai Schmitz wusste sich auch in dieser persönlichen Notlage zu helfen: Er initiierte eine Unterschriftenaktion in eigener Sache. Immerhin elf Freunde und Bekannte sprachen sich seinerzeit schriftlich dafür aus, dass der junge Sternenfreund „in Zukunft länger als bis halb elf auf der Sternwarte bleiben darf“. Und siehe da, Kais Eltern zeigten sich ob dieser beeindruckenden Petition schnell gnädig …

Heute, also rund 23 Jahre später, berichtet Prof. Dr. Kai Schmitz beim Blick über den münsterschen Aasee mit leuchtenden Augen davon, wie er dem 29. Juni 2023 entgegengefiebert hat – dem Donnerstag, an dem er als Mitglied des globalen Physiker-Konsortiums „NANOGrav“ bekanntgab, dass man nach 15 Jahren intensiver Messungen erstmals überzeugende Hinweise für die Existenz von langsam schwingenden Gravitationswellen gefunden habe. Ein wissenschaftlicher Coup, ein weltweit beachteter Durchbruch und gleichzeitig ein im wahrsten Sinne des Wortes bewegender Moment für Kai Schmitz. „Ich war sehr nervös, wir alle hatten nur noch einen Tunnelblick auf diesen Tag und unsere Ergebnisse“, betont er. Woher rührt seine Leidenschaft für dieses Fach? Um zu verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält, wie es in Goethes „Faust“ heißt? „Physikerinnen und Physiker nehmen die oft endlosen Warum-Fragen von Kindern sehr ernst. Weil wir nicht wie viele genervte Eltern irgendwann die Fragerei unserer Kinder ablehnen, sondern weil wir permanent die Grenzen unseres Wissens verschieben wollen – und genau das ist uns mit der Entdeckung der niederfrequenten Gravitationswellen gelungen.“

Bei Kai Schmitz lief schon in jungen Jahren „alles auf die Physik hinaus“, obwohl er sich auch für Literatur begeisterte und mit seinem 1,0-Abizeugnis unter Beweis stellte, dass reichlich Talente in ihm schlummerten. Nach sechs Physik-Semestern an der FU Berlin ging er auf Reisen: USA, Hamburg, Tokio, Heidelberg, Padua und Genf. Seit Mai 2022 lehrt und forscht der Teilchenphysiker, der in seiner knapp bemessenen freien Zeit mit seiner Familie gerne vom heimischen Gievenbeck aus das Münsterland mit dem Fahrrad erkundet, an der Universität Münster.

Die Gravitationswellen werden noch viele Jahre seine Arbeit dominieren. Man weiß zwar, dass sie sich wenig um Hindernisse in Raum und Zeit scheren und durch alles hindurchrauschen. Aber noch weiß niemand mit Gewissheit, woher sie stammen. Kai Schmitz und sein Team prüfen die Option, ob sie die Folge eines Ereignisses vor rund 13,8 Milliarden Jahren sind, als extrem heißes Plasma auseinanderdriftete, als sich der Urknall und damit der Beginn von allem ereignete. Dazu beobachten die Experten mit Radioteleskopen 68 sogenannte Pulsare – tote Sterne, die sich schnell drehen und die sehr gleichmäßig Strahlen senden. Sie funktionieren wie zuverlässige Uhren, deren mögliche Takt-Abweichungen die Messung von Gravitationswellen ermöglichen. „Pulsare, von denen wir hoffentlich noch mehr finden, sind wie Leuchttürme im All oder Leuchtbojen auf dem Meer. Sie sind jedenfalls ein Geschenk des Himmels“, unterstreicht Kai Schmitz.

Mit Erwartungen hält sich der Naturwissenschaftler wohlweislich zurück. Wobei er durchaus ein Talent für Prognosen zu haben scheint. Als Grundschüler musste er einst auf einem Aufgabenblatt unterschreiben – er signierte mit „Prof. Kai“.

Norbert Robers


Dieser Beitrag stammt aus der Broschüre „Zwölf Monate, zwölf Menschen“, erschienen im Februar 2024.

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